Am 20. August 2025 um 7 Uhr morgens rief mich Rodion Schtschedrin aufgeregt an und teilte mir mit, es gäbe Gerüchte, er sei tot.
„Das ist falsch! Ich lebe!“ sagte er voller Überzeugung zu mir, „und mein rechtes Auge wird immer besser. Glaube nicht, was die Leute erzählen!"
Das beruhigte mich.
Am 29. August rief mich dann der Opernregisseur Florian Zwipf aus Rumänien an und teilte mir mit, im rumänischen Rundfunk sei gerade die Nachricht von Schtschedrins Tod gemeldet worden.
Dann überstürzten sich die Informationen.
Noch am selben Tag brachte Susanne Schmerda einen sensiblen Nachruf auf BR-Klassik.
Die Münchner Abendzeitung veröffentlichte einen Bericht, aber auf dem beigefügten Foto war Schtschedrins Frau, Maja Plissezkaja, die Primaballerina des Bolschoiballetts mit ihrem Designer Pierre Cardin abgebildet, der als Schtschedrin ausgewiesen war.
Schtschedrin hätte sich amüsiert, er hatte Humor.
Aufmerksam auf ihn machte mich 1983 während des Münchner Klaviersommers die Schauspielerin Maria Schell, die mich im BR besuchte mit einem Stapel von Schallplatten mit Schtschedrins Musik. „Tun Sie was für diesen Mann!“, rief sie energisch, „Er ist ein Genie!“
Ein paar Tage später war sie schon im Schottverlag in Mainz bei Dr. Peter Hanser-Strecker und brachte auch ihm einen Stapel Schallplatten mit. Seitdem ist sein Werk bei Schott verlegt.
Ich traf Schtschedrin gelegentlich in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, wo er seit 1976 Mitglied war, bei Konzerten in der Philharmonie, im Gasteig und beim Münchner Klaviersommer, wo er gemeinsam mit Chick Corea improvisierte. Er schrieb vor allem für die Oper und das Ballett. Zu seinen bekanntesten Bühnenwerken gehören die Carmen-Suite, Der verzauberte Pilger, Anna Karenina und Lolita, die in Russland aus moralischen Gründen nicht aufgeführt werden durfte. Seine Fixpunkte waren Moskau, Petersburg, München, Starnberg und Litauen.
Sein Zuhause war immer dort, wo er auch komponieren konnte: am Schreibtisch.
Er schrieb mit der Hand. Als er wegen seines Augenleidens nicht mehr lesen und schreiben konnte, bot ich ihm an, mir seine Partituren zu diktieren. „Das geht nicht,“ sagte er stolz, „meine Musik muss von meinem Kopf über meine Hand aufs Papier kommen. Ohne fremde Hilfe!“
Das war ein klares Wort.
Rodion Schtschedrin starb am 29. August mit 92 Jahren in einer Münchner Klinik.
Die Asche von ihm und seiner Frau, die 10 Jahre vor ihm gestorben war, wurde vermischt und von einem Flugzeug aus am 8. Oktober über der Wolga verstreut.
Wilfried Hiller