Die Wahrheit der Kunst in Zeiten der Täuschung
Literaten und Künstler galten seit der Antike als visionäre Seher, aber auch als Betrüger und Täuscher. Von Homer bis Platon wurden Dichter als Lügner bezeichnet, und die Kunstfertigkeit des Malers Zeuxis sollte die Anekdote belegen, dass die Vögel an den Trauben auf einem von ihm gemalten Bild pickten. Die Kunst, das Auge zu täuschen, »trompe l’œil«, zieht sich in vielen Formen durch die Jahrhunderte. Dieser Sicht steht die Vorstellung gegenüber, dass Kunst eine Wahrheit vermittelt, die nicht mit den Wahrheiten der Wissenschaften oder des Alltags korrespondieren müsse, Kunst sei eine eigene Form der Erkenntnis beziehungsweise des Vollzugs von Wahrheit. Bildende Kunst, Literatur, Theater, Oper oder Film eröffnen demnach im Rahmen von Fiktion und Vision einen Zugang zu einer den Kunstwerken immanenten, durch menschliche Kreativität aufgezeigten Wahrheit.
Mit KI und Deepfake sowie in Zeiten »alternativer Fakten« und Postfaktizität müssen die Fragen nach Wahrheit und Täuschung der Kunst neu gestellt werden. Künstliche Intelligenz schreibt inzwischen Romane, malt Bilder und produziert Fotografien sowie Filme, die schon jetzt vielfach nicht mehr als Produkte von Maschinen erkannt werden können. Die Bayerische Akademie der Schönen Künste, zu deren Aufgaben Pflege und Förderung der Künste zählen, geht diesen Fragen in einer neuen Vortragsreihe nach. Welche Wahrheit hat Kunst bislang vermittelt und wie steht es damit heute? Gehen geläufige Formen einer Wahrheit der Kunst verloren? Müssen wir uns an KI-Kunst nur gewöhnen und andere Formen von Kreativität oder Authentizität akzeptieren? Aus dem Blickwinkel von Philosophie, Kunst und Literatur, von Theater, Fotografie, Architektur, Informatik und Mathematik werden Thematik, Probleme und Bedeutung einer Wahrheit der Kunst in Zeiten der Täuschung beleuchtet.
Die Referenten:
30.9. Wilhelm Vossenkuhl
15.10. Michael Jaeger
11.11. Gerhard Preußer
26.11. Henry Keazor
2.12. Ulrich Pohlmann
4.12. Daniel Cremers
16.12. Klaus Mainzer
28.1. Winfried Nerdinger
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Wissenschaftliches Wissen beansprucht so lange wahr zu sein, bis es widerlegt worden ist. Diese Art Wahrheit ist von allgemein gültigen Methoden, von nachvollziehbaren Experimenten und überzeugenden Argumenten abhängig. Die wissenschaftliche Wahrheit muss überprüfbar sein, damit Täuschungen ausgeschlossen sind. Die Wahrheit in den Künsten ist dagegen nicht überprüfbar. Denn die Künste sind frei und schöpferisch, auch wenn Künstlerinnen und Künstler methodisch und experimentell arbeiten. Ihre Werke können schlecht, aber nicht falsch sein. Die Wahrheit der Kunst ist nicht das Ergebnis zwingender Argumente. Sie kann nicht allgemein zustimmungsfähig sein, bleibt immer strittig, kann unverständlich und unzugänglich sein. Heidegger hat das griechische Wort für Wahrheit (aletheia) mit »Unverborgenheit« übersetzt. Die Unverborgenheit ist ein Merkmal künstlerischer Wahrheit, weil viele Kunstwerke, wie einige Beispiele zeigen, zeitkritisch sind und uns über uns und unsere Lebenswelt aufklären. W. V.
© Sabine Finger,
Wilhelm Vossenkuhl
Wilhelm Vossenkuhl war bis 2011 Inhaber des Lehrstuhls I für Philosophie der LMU München. Von 1986–1993 war er Professor für Philosophie an der Universität Bayreuth. Er hat Bücher über historische, ethische und sprachphilosophische Themen veröffentlicht, u. a. Ludwig Wittgenstein (2003), Die Möglichkeit des Guten (2006), Was gilt. Über den Zusammenhang zwischen dem, was ist, und dem, was sein soll (2021) Unsinn. Eine kleine Philosophie für Kinder und Erwachsene (2021) Ethik und ihre Grenzen (2021), Wittgensteins Philosophie (2025).
Der Eintritt zu der Veranstaltung ist frei, eine Anmeldung nicht erforderlich. Bitte haben Sie dafür Verständnis, dass unser Platzangebot begrenzt ist. Daher werden eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung am Haupteingang der Residenz, Max-Joseph-Platz 3, Platzkarten vergeben.