Bei den Diskussionen um die Rekonstruktion des Hohenzollernschlosses in Berlin kursierte der Begriff »Schlosslüge« in den Medien. Als »Lüge« galt, zu rekonstruieren und nicht »zeitgenössisch« zu bauen. Demnach wäre eine Architektur »wahr«, die der Zeit entspricht. Das gegenwärtige Bauen bewegt sich zwischen Hightech und Lehmbau – was ist dann zeitgemäß? Das ausgeführte Schloss zeigt an drei Seiten rekonstruierte Formen und als vierte Fassade eine nüchterne glatte Betonstruktur. Sollten damit Lüge und Wahrheit ablesbar und damit eine »Ehrlichkeit« der Architektur angedeutet werden? Seitdem Marc-Antoine Laugier 1753 »die wahren Prinzipien der Architektur« verkündete und dabei auf Konstruktion und Funktion einer »Urhütte« verwies, werden zunehmend moralische Wertungen auf Architektur übertragen, ohne dass die zugrundeliegenden Wahrheitsvorstellungen reflektiert werden. Kann Architektur überhaupt wahr sein oder lügen?
© Orla Connolly,
Winfried Nerdinger
Winfried Nerdinger unterrichtete 1986 bis 2012 Architekturgeschichte an der Technischen Universität München und leitete das Architekturmuseum in der Pinakothek der Moderne. Dort zeigte er 2010 die Ausstellung Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte. 2012 bis 2018 war er Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums München. Publikationen zuletzt: Architektur in Deutschland im 20. Jahrhundert (2023), Recherchen, Reflexionen, Positionen (2024), Le Corbusier (2026).
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Die Vortragsreihe:
Die Wahrheit der Kunst in Zeiten der Täuschung
Literaten und Künstler galten seit der Antike als visionäre Seher, aber auch als Betrüger und Täuscher. Von Homer bis Platon wurden Dichter als Lügner bezeichnet, und die Kunstfertigkeit des Malers Zeuxis sollte die Anekdote belegen, dass die Vögel an den Trauben auf einem von ihm gemalten Bild pickten. Die Kunst, das Auge zu täuschen, »trompe l’œil«, zieht sich in vielen Formen durch die Jahrhunderte. Dieser Sicht steht die Vorstellung gegenüber, dass Kunst eine Wahrheit vermittelt, die nicht mit den Wahrheiten der Wissenschaften oder des Alltags korrespondieren müsse, Kunst sei eine eigene Form der Erkenntnis beziehungsweise des Vollzugs von Wahrheit. Bildende Kunst, Literatur, Theater, Oper oder Film eröffnen demnach im Rahmen von Fiktion und Vision einen Zugang zu einer den Kunstwerken immanenten, durch menschliche Kreativität aufgezeigten Wahrheit.
Mit KI und Deepfake sowie in Zeiten »alternativer Fakten« und Postfaktizität müssen die Fragen nach Wahrheit und Täuschung der Kunst neu gestellt werden. Künstliche Intelligenz schreibt inzwischen Romane, malt Bilder und produziert Fotografien sowie Filme, die schon jetzt vielfach nicht mehr als Produkte von Maschinen erkannt werden können. Die Bayerische Akademie der Schönen Künste, zu deren Aufgaben Pflege und Förderung der Künste zählen, geht diesen Fragen in einer neuen Vortragsreihe nach. Welche Wahrheit hat Kunst bislang vermittelt und wie steht es damit heute? Gehen geläufige Formen einer Wahrheit der Kunst verloren? Müssen wir uns an KI-Kunst nur gewöhnen und andere Formen von Kreativität oder Authentizität akzeptieren? Aus dem Blickwinkel von Philosophie, Kunst und Literatur, von Theater, Fotografie, Architektur, Informatik und Mathematik werden Thematik, Probleme und Bedeutung einer Wahrheit der Kunst in Zeiten der Täuschung beleuchtet.
Der Eintritt zu der Veranstaltung ist frei, eine Anmeldung nicht erforderlich. Bitte haben Sie dafür Verständnis, dass unser Platzangebot begrenzt ist. Daher werden eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung am Haupteingang der Residenz, Max-Joseph-Platz 3, Platzkarten vergeben.