Was passiert, wenn die Integrität eines Landes und seiner Kultur in ihrer Existenz bedroht ist? Etwa durch sozioökonomische Verwerfungen wie nach der friedlichen Umwälzung von 1989 in Mittel- und Osteuropa oder durch Kriege, wie sie mehr und mehr Länder weltweit überziehen?
Die Ukraine kämpfte und kämpft mit beiden Formen, dem Wegbrechen alter Wirtschaftsverbindungen seit 1989 und dem russischen Eroberungskrieg seit 2022. Ihre Hinwendung nach Europa war die Konsequenz aus den postsozialistischen Veränderungen und Vorwand für die Militärangriffe Russlands. Trotz der physischen Zerstörungen und individuellen wie kollektiven Traumata entwickeln sich in solchen Zeiten des Umbruchs zugleich erfindungsreiche Wege des Selbsterhalts und neue Formen des Gemeinsinns.
Die Ausrufung einer temporären Kulturstadt Europas seit Mitte der 1980er Jahre war Signal eines solchen kollektiven Bewusstseins im europäischen Rahmen: Die einstmals verfeindeten Länder stellten sich unter die Schirmherrschaft ihrer gemeinsamen Kultur. So entstand 1987 für die dritte Station in Amsterdam mein EuropaZelt, das den antiken Mythos der Entführung der Europa neu interpretierte: mit seinen friedlich-spielerischen wie auch gewaltsamen Seiten.
Ab dem Jahr 2000 führten mich anlässlich meines Dokumentarfilms SÜDOSTPASSAGE (2002) und meines Spielfilms ZWÖLF STÜHLE (2004), der Verfilmung des Romans der Odessiter Autoren Ilja Ilf und Jewgeni Petrow von 1928, zahlreiche Reisen in die Ukraine. Dort stieß ich in winzigen Alltagsaspekten wie auch in den strukturellen Veränderungen auf ein unbändiges Streben der Menschen nach einem guten Leben auch unter den veränderten Verhältnissen. Besonders die Frauen hielten die Gemeinschaften im Kleinen und Großen zusammen und bewahrten ihr Selbstwertgefühl noch unter prekärsten Bedingungen.
Ihnen und der Ukraine ist diese Ausstellung gewidmet.
Ulrike Ottinger
Während der Ausstellung wird der Film »Südostpassage« gezeigt.